Die Pfütze

Es war einmal eine kleine Pfütze. Sie war glücklich und amüsierte sich köstlich, wenn sie mit Hilfe eines Autos jemanden so richtig anspritzen konnte. Sie hatte nur vor einer einzigen Sache Angst: vor der Sonne. „Sie ist der Tod der Wasserpfützen“, dachte sie schaudernd.

Ein Dichter kam des Weges. Verträumt, wie er war, landete er mit beiden Füssen in der Pfütze. Doch anstatt sich zu ärgern, freundete er sich mit ihr an.
„Guten Tag“, sagte er und die Pfütze antwortete: „Guten Tag!“
„Wie bist du denn da hingekommen?“, fragte der Dichter.

Anstelle einer Antwort nahm die Pfütze alle ihre Kräfte zusammen und widerspiegelte das himmelblaue Firmament. Sie unterhielten sich lange über den lieben Gott, den Regen und über die Angst der Pfütze vor der Sonne.

Der gute Dichter wollte ihr diese Angst nehmen. Er erzählte ihr von der unglaublichen Weite des Meeres, vom Zucken der Fische und vom Glück der Wellen. Er schilderte ihr auch, dass das Meer die Heimat und die Mutter aller Wasserpfützen der Welt sei, und dass das Leben der Erde und des Meeres untrennbar mit der Sonne verbunden sei. Auch das Leben der Wasserpfützen.

Der Abend brach an und die Dämmerung senkte sich über den Dichter und die Pfütze, die noch immer stumm und gedankenverloren beisammen sassen.

Einige Tage später kehrte der Dichter zu seiner Freundin zurück. Er traf sie tanzend in der Luft im warmen Strahl der Sonne.

Die Pfütze erklärte: „Dank dir habe ich verstanden. Als die Sonne mich mit ihrer Weichheit umgab, habe ich mich nicht mehr gefürchtet. Ich habe mich hochheben lassen und nun verreise ich auf den Wegen der wilden Enten, die mich zum Meer führen. Auf Wiedersehen und vergiss mich nicht!“

Bruno Ferrero, Qumran2

Bild: FlorinBirjoveanu