Vogelbeobachtung auf der Insel Helgoland im Herbst. Unter den meist bräunlich-grauen Watvögeln fällt ein schwarz-weisser Vogel mit einem leuchtend roten Schnabel auf. Der Austernfischer ist auf Helgoland sehr häufig anzutreffen, denn seine grösste Verbreitung in Europa hat er im Wattenmeer und dem küstennahen Binnenland der Nordsee, wo er auch die scherzhafte Bezeichnung „Halligstorch“ trägt. Mit etwas Fantasie gleicht er nämlich dem Schwarzstorch (s. Bild).
In der Schweiz tritt der Austernfischer als seltener Durchzügler an grösseren Seen auf. Auch am Klingnauer Stausee (AG) erscheint er in der Zugzeit ab und zu kurzzeitig in kleineren Trupps oder als Einzelvogel. Dieses Ereignis verbreitet sich jeweils schnell unter den Vogelbeobachtern und nicht wenige „pilgern“ dann dorthin, um den Anblick dieses besonderen Vogels zu geniessen. (Bild: Der Austernfischer am Klingnauer Stausee wird von Möwen kritisch beobachtet)
Der Austernfischer ist also ein charakteristischer Vogel der Nordseeküste, die Rast- und Brutbestände konzentrieren sich vor allem auf das deutsche und niederländische Wattenmeer. Die Verbreitung reicht in Europa bis nach Island und Nordnorwegen, kleinere Brutpopulationen findet man auch am Mittelmeer.
Austernfischer kann man praktisch nicht mit andern Vögeln verwechseln, das schwarzweisse Gefieder bildet einen auffälligen Kontrast zu den rötlichen Beinen und dem knallroten Schnabel. Besondere Merkmale sind auch das rote Auge und der weisse Flügelstreif im Flug.
Der lateinische Name Haematopus bedeutet „roter Fuss“, ostralegus = „Austernsammler“. Der Begriff „Austernsammler“ ist nicht streng im wortwörtlichen Sinn zu verstehen, sondern als Inbegriff von Muscheln allgemein, denn der Austernfischer frisst normalerweise keine Austern, hingegen gehören Muscheln zu seinen Lieblingsspeisen. Auch Kleinfische wie beispielsweise Sandaale gehören zu seinem Nahrungsspektrum.
Limikolen, also Watvögel, sehen sehr unterschiedlich aus, ihre verschieden geformten Schnäbel – kräftig und gerade (Austernfischer), lang (Pfuhlschnepfe) kurz (Steinwälzer) – eignen sich für die entsprechende Nahrungsaufnahme im weichen Boden. An der Schnabelspitze befinden sich die Tastsinnesorgane.
Der Austernfischer gehört mit seinen 40 cm Länge zu den grösseren Limikolen, sein kräftiger gerader Schnabel ist ein hervorragendes Werkzeug. Er kann damit nach Würmern stochern und sie aus dem Boden herausziehen. Ebenso kann er damit meisselartig auf Muscheln einhämmern, bis ein Stück Schale herausbricht.
Herz- und Miesmuscheln gehören zu seiner bevorzugten Nahrung, die er entweder optisch oder „taktil“ (mit dem Tastsinn) erbeutet. Mit ihrem Tastsinn können die Vögel zwischen lebenden Muscheln und leeren Muschelschalen unterscheiden. Kleinere Muscheln werden ganz geschluckt, grössere Miesmuscheln werden mit dem Schnabel aufgestemmt.
Wenn die Muschel etwas geöffnet im Wasser liegt, stösst der Austernfischer blitzschnell mit seiner Schnabelspitze in diese Öffnung und verletzt den Schliessmuskel der Muschel, sodass sich diese nicht mehr schliessen kann. Eine weitere Bearbeitungs¬methode ist das Fallenlassen der Muschel auf einen festen Untergrund, wie man es auch von Grossmöwen kennt. Durch Übung verbessern die Alttiere ihre Technik zum Erfassen und Öffnen der unterschiedlichen Muscheln.
Austernfischer pflegen langjährige Partnerschaften, ebenso zeigen sie eine ausgesprochene Nistplatztreue. Das Nest befindet sich an sandigen und steinigen Küsten oder in Salzwiesen in einer kleinen Mulde am Boden. Die zumeist drei Eier werden von beiden Eltern bebrütet. Die Küken sind Nestflüchter und verlassen nach dem Schlüpfen das Nest nach nur wenigen Tagen.
Die Altvögel betreuen ihre Küken aber noch einige Wochen lang und „servieren“ ihnen die Nahrung, teilweise werden sogar noch bereits flügge Jungvögel gefüttert.
In Deutschland wird der Brutbestand auf etwa 25‘000 bis 30‘000 Paare geschätzt. In den letzten 20 Jahren ist der Brutbestand leider rückläufig, der gleiche Trend lässt sich europaweit feststellen. Die Gründe an der Nordseeküste sind vielfältig.
Die gewerbliche Muschelfischerei ist einer davon, ebenso die in Kulturen angesetzte Pazifische Auster, die sich schneller vermehrt als die heimische Miesmuschel. Die harten Schalen dieser Zuchtaustern können von den Austernfischern trotz ihres kräftigen Schnabels nicht geknackt werden. Auch beweidete Salzwiesen wirken sich ungünstig aus, da das Weidevieh für die Gelege eine Gefahr darstellt. Auf den Inseln und Halligen ist es zudem besonders wichtig, dass haarige Beutegreifer wie Fuchs und Marder nicht auf diese Inseln gelangen können.
Es bleibt zu hoffen, dass die markanten Rufe der Austernfischer in Zukunft nicht verstummen.
Die ausführliche Dokumentation zum heutigen Vogel des Monats für den Unterricht finden Sie hier: Austernfischer oder in der Lehrmittel Boutique, wo das Heft auch für Nichtmitglieder kostenlos zur Verfügung steht.
Ich danke Edith und Beni Herzog herzlich für die interessanten Informationen und die wunderbaren Fotos sowie die Audio-Aufnahmen. Auf ihrer Webseite benifotos.ch sind die Bilder grösser und noch prächtiger zu sehen.
Zielgruppe: 4.- 6. Klasse
Bezug Lehrplan 21: NMG 2.1 NMG 2.3 NMG 2.4 NMG.2.