Wer im Spätfrühling und Sommer mit wachsamem Blick durch die Gegend streift, kann vielerorts Jungvögel beobachten, die von den fürsorglichen Vogeleltern ausserhalb des Nestes mit Futter versorgt werden. In Gärten, Hecken und auf Bäumen, aber auch auf Hausdächern oder an Strassenrändern sitzt der eben flügge gewordene Nachwuchs und wartet geduldig, bis ein Elternteil mit gefülltem Schnabel zurückkehrt. Dann entsteht kurz Hektik: Laut piepsend, mit den Flügeln flatternd und weit aufgerissenem Schnabel zeigen die Jungen, wohin die Ladung Futter gehört.
Junger Hausrotschwanz bettelt Papa um Futter an.
Wie stellen wir uns ein frisch geschlüpftes Vogelbaby vor? Viele denken vielleicht an Osterküken, die im April manchmal sogar in Supermärkten als Attraktion zur Schau gestellt werden – kleine, flauschige Federbällchen mit offenen Augen und purlimunter (= munter und vergnügt). Weit gefehlt! Alle Singvögel sowie Reiher, Greifvögel, Eulen und Spechte sind sogenannte Nesthocker und kommen nackt und blind zur Welt. Sie sind vollkommen auf ihre Eltern angewiesen. Ihre Daunen beginnen erst nach einigen Tagen zu spriessen. Die hilflosen Küken werden vom Vogelweibchen warm gehalten, indem es sich regelmässig über diese setzt, in der Fachsprache bezeichnet man diesen Vorgang als Hudern.
Junge Rauchschwalben werden im Nest gefüttert.
Die Nestlingszeit – das heisst die Zeit vom Schlüpfen bis zum Flüggewerden – dauert je nach Vogelart unterschiedlich lang. Ein frisch geschlüpfter Rotmilan verbringt bis zu 55 Tage im Nest, ein Singvogel wie die Bachstelze hingegen nur rund 15 Tage.
Junge Uferschwalben warten am Eingang zur Nisthöhle.
Für die Eltern von Nesthockern beginnt nach dem Schlüpfen der Jungvögel eine riesige Belastung und ihre Kondition muss hervorragend sein, damit sie die entsprechenden Futterportionen für ihren Nachwuchs beschaffen können. Während Kohlmeisen-Eltern ihre sieben oder acht Jungen täglich mit 300 bis 400 Futterportionen versorgen, erhalten grosse Taggreifvögel nur eine oder zwei Tagesmahlzeiten. Schleiereulen, die ihre Jungen mit Mäusen füttern, brüten in schlechten Mäusejahren meistens gar nicht.
Um von den Eltern gefüttert zu werden, animieren Jungvögel ihre Eltern vor allem durch Bettelrufe. Der oft grell gefärbte, aufgerissene Schnabel ist ein weiterer Anreiz, Futter hineinzustecken. Junge Nesthocker haben - wie der Haussperling auf dem Bild - dicke, helle Wülste an den Schnabelrändern, diese bilden sich später zurück.
Das Nest muss stets sauber gehalten werden, deshalb tragen die Altvögel den mit einer dünnen Haut überzogenen Kot der Jungvögel vom Nest weg, manchmal schlucken sie ihn auch. Junge Greifvögel wie zum Beispiel der Mäusebussard spritzen ihren Kot über den Rand des Horstes hinaus.
Bild: Star mit Kotpaket
Eine völlig andere Verhaltensweise zeigen die Nestflüchter. Zu dieser Kategorie gehören Gänse, Enten und Rallen, also Wasservögel, die am Boden resp. im Schilf brüten. Nach dem Schlüpfen sind diese Vögel bereits weit entwickelt und ihr voll ausgebildetes Daunenkleid verleiht ihnen eine gute Tarnung. Sie können kurz nach dem Schlüpfen zwar noch nicht fliegen, aber trotzdem das Nest verlassen.
Wer schon wenige Tage alte Schwäne, Stockenten-, Haubentaucher oder Gänsesäger-Küken im Wasser beobachten konnte, hat bestimmt bemerkt, dass die Kleinen sehr gerne unter das Federkleid eines Altvogels schlüpfen und sich in diesem „Schwimmtaxi“ herumchauffieren lassen. So sind sie gut vor Kälte und Feinden von oben (Möwen, Greifvögel) und unten (Raubfische) geschützt. Da sie das Nest relativ schnell verlassen, ist die Gefahr klein, dass dieses durch Beutegreifer entdeckt und ausgeräumt wird. Allerdings birgt der Gang zum Wasser auch Gefahren, beispielsweise wenn Stockenten weitab vom Wasser brüten und mit ihrer Jungmannschaft auf dem Weg dorthin Strassen überqueren müssen.
Junge Stockenten können bereits nach einigen Stunden schwimmen.
Auch Gänsesäger-Küken haben oft einen gefahrvollen Weg vor sich. Das Weibchen brütet hoch oben in Baumhöhlen oder auch in Mauernischen von Gebäuden wie Schlössern, Türmen oder auch mal in einem Turmfalkenkasten. Schon wenige Stunden nach dem Schlüpfen lockt die Mutter die Kleinen nach unten, den „todesmutigen“ Sprung auf den Boden überstehen die leichten Federbällchen meist problemlos, aber danach folgt der Fussmarsch mit Mama ans Wasser. Hier lauern oft Feinde, besonders im ständig dichter werdenden Siedlungsraum. Der Beginn eines Vogellebens ist gefährlich!
Junge Haubentaucher im Gefieder der Mutter und Gänsesäger-Küken, die auf dem Rücken der Mutter reiten.
Auf welche Art und Weise Vögel gefüttert werden, hängt von der Vogelart ab. Blaumeisen füttern ihre Nestlinge hauptsächlich mit kleinen Raupen, die vor allem nach dem Laubausbruch in grossen Mengen vorhanden sind. Tauben füttern ihren Nachwuchs mit einer Art Kropfmilch. Möwenjunge picken nach dem Schnabel der Altvögel, damit diese das Futter auswürgen. Turmfalken verfüttern vor allem Mäuse, manchmal auch Jungvögel, Eidechsen oder Grossinsekten, die sie je nach Alter ihres Nachwuchses in schnabelgerechte Portionen zerteilen.
BIld: Junger Turmfalke wird mit einer Heuschrecke gefüttert.
Ein besonderer Spezialist ist der Mauersegler, der nur zum Brüten festen Boden unter den Füssen hat und sonst sein Leben in der Luft verbringt. Er füttert seine Jungen mit im Flug gefangenen Insekten und ist deshalb besonders stark vom Wetter abhängig. Einer anhaltenden Schlechtwetterperiode während der Brutzeit weichen Mauersegler aus und entfernen sich bis zu 2000 km vom Nest. Ihre Jungen müssen dadurch tagelang ohne Nahrung auskommen – sie schaffen das, indem sie in eine Hungerstarre fallen. Ihre Herzschlagfrequenz sinkt dabei von 90 auf 20 Schläge pro Minute und ihre Körpertemperatur von rund 38 Grad Celsius sinkt auf etwa 20 Grad.
Junge Eulen verlassen ihr Nest, bevor sie richtig fliegen können. Sie verteilen sich nach dem Verlassen des Nestes auf Ästen im Baum und werden dort von ihren Eltern weiter gefüttert. In diesem Stadium bezeichnet man die Eulen als Ästlinge. Eine junge Eule, die sich am Boden aufhält, ist in der Lage, am nächsten Baum geschickt wieder hochzuklettern.
Bild: Junge Waldkäuze warten auf einem Ast auf die Fütterung
Auf dem Speiseplan des Eisvogels steht vorwiegend Fisch. Nach dem Ausfliegen der Jungvögel müssen diese die Ansitzjagd von einer Sitzwarte aus üben. Zu diesem Zweck bringt ein Altvogel einen lebenden Fisch und lässt das verletzte Beutetier ins Wasser fallen. Dort kann es sich der Jungvogel anschliessend schnappen. Oft müssen sich junge Eisvögel auch mit grösseren Wasserinsekten zufriedengeben, bis sie die Technik des Fischfangs erlernt haben.
Junge Rauchschwalben, die ihr Nest im Stall verlassen haben, sitzen gerne auf Zweigen, einem Zaun oder Schilfhalmen und warten gierig auf die nächste Futterportion. Kommt ein Altvogel mit Futter angeflogen, stopft er die mitgebrachten Insekten praktisch im Flug in den aufgerissenen Schnabel des Jungvogels. Dieser Vorgang läuft blitzschnell ab und kann von blossem Auge kaum wahrgenommen werden. BIld: Fütterung einer jungen Rauchschwalbe im Flug
Die Sterblichkeit von gerade erst selbstständig gewordenen Jungvögeln ist sehr gross. Nehmen wir als Beispiel die Rauchschwalbe. Von 100 geschlüpften Jungen fliegen 90 aus, nach drei Wochen leben noch 37. Nur 20 überleben bis zum nächsten Frühjahr.
Ein grosses Problem für Singvögel ist der markante Rückgang der Insekten aufgrund des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft. Elternvögel finden deshalb nicht mehr genügend Futtertiere und viele Jungtiere verhungern, vor allem, wenn zusätzlich noch längere Kälte- und Regenperioden in der Brutzeit auftreten.
Das Federkleid von Jungvögeln unterscheidet sich teilweise stark vom Gefieder der Altvögel. Ein unauffälliges Jugendkleid schützt die noch unerfahrenen Jungvögel besser vor Beutegreifern. Beispielsweise ist das Federkleid junger Rotkehlchen dunkel gefleckt im Gegensatz zur orange gefärbten Brust, Kehle und Stirn des Altvogels. Im Lauf des Sommers ersetzt das Rotkehlchen nach und nach sein geflecktes Jugendkleid, der Kopf kommt zuletzt dran.
Der Übergang zum Alterskleid geht je nach Vogelart schneller oder langsamer vor sich. Grossmöwen erhalten ihr endgültiges Federkleid erst im vierten Lebensjahr, der Bartgeier trägt mehrere bräunliche Übergangskleider, ins Alterskleid mausert er erst nach sechs Jahren, seine Geschlechtsreife erreicht er mit sieben Jahren.
Was tun, wenn man einen Jungvogel am Boden findet?
Bild: Ein auf dem Boden gestrandeter junger Mauersegler kommt nicht mehr von allein in die Luft.
Es gibt heute Vogelpflegestationen, die verwaiste, kranke oder verletzte Vögel in Pflege nehmen. Aber nicht jeder am Boden gefundene Jungvogel ist ein Patient. Oft verlassen die Jungvögel das Nest früh und wirken mit dem kurzen Schwanz und den dicken Schnabelwülsten hilflos. Sie werden aber von den Eltern weitergefüttert.
Am besten lässt man sie dort, wo sie sind, die Überlebenschancen sind am höchsten, wenn sie weiter von den Eltern betreut werden. Allerdings macht es Sinn, einen Jungvogel, der über längere Zeit am Boden sitzt, in den nächsten passenden Strauch oder Baum zu setzen, damit er vor Feinden wie Katzen geschützt ist.
Stellt man fest, dass sich kein Altvogel um ihn kümmert (Situation über längere Zeit aus grosser Distanz beobachten), kann man immer noch eingreifen. Findet man hingegen ein zerstörtes Nest oder abgestürzte Jungvögel, ist es angezeigt, sie in die nächste Vogelpflegestation zu bringen. Gerade während Hitzeperioden passiert es oft, dass junge Mauersegler ihr Nest unter Dachziegeln, wo es sehr heiss wird, vorzeitig verlassen, aber noch nicht fliegen können. Findet man solche Vögel am Boden, ist es wichtig, sie in professionelle Pflege zu bringen.
Entenweibchen suchen sich manchmal ruhige Brutplätze in Siedlungen und entscheiden sich für Balkone oder Flachdächer. Dies sind für die Jungvögel meistens unüberwindbare Hindernisse, ausserdem führt der Weg ans Wasser oft über stark befahrene Strassen. Hier ist es angebracht, eine Fachperson um Hilfe zu bitten, um das Entenweibchen samt seiner Brut schon am Nest einzufangen und ans Wasser zu bringen.
Die ausführliche Dokumentation für den Unterricht finden Sie hier: Zeit der Jungvögel oder in der Lehrmittel Boutique, wo das Heft auch für Nichtmitglieder kostenlos zur Verfügung steht.
Ich danke Edith und Beni Herzog herzlich für die interessanten Informationen und die wunderbaren Fotos sowie die Audio-Aufnahmen. Auf ihrer Webseite benifotos.ch sind die Bilder grösser und noch prächtiger zu sehen.
Zielgruppe: 3.- 6. Klasse
Bezug Lehrplan 21: NMG 2.1 NMG 2.3 NMG 2.4 NMG.2.6