Man nennt ihn „Finkenkönig“ – die Rede ist von einem fast starengrossen Vogel, dem Kernbeisser. Mit seinem dicken Kegelschnabel ist er nicht nur der grösste unserer einheimischen Finken, sondern auch ein ausgesprochen attraktiver Vogel.
Trotz seiner stattlichen Grösse übersieht man ihn oft, da er sich gerne im Blätterdach hoher Laubbäume aufhält und im Winter am Futterhaus ein seltener Gast ist. Aber wenn der Kernbeisser am Futterplatz im Garten erscheint, ist er vorübergehend der „Chef“, der sich mit seiner Grösse und seinen Drohgebärden Respekt verschafft. Andere Singvögel suchen dann meistens das Weite. Besonders in nahrungsarmen Wintern erscheint er am Futterhaus und ist für jeden Beobachter eine Attraktion.
Seine Fähigkeit, mit dem kräftigen Schnabel Kirschkerne und die Früchte von Hagebuchen zu knacken, brachte ihm im 16. Jahrhundert Namensbezeichnungen wie Kirschknacker, Kirschkern-, Stein-, Nuss- und Bollenbeisser ein. Damals war er bei einzelnen Grossgrundbesitzern verhasst, weil er offenbar Schäden an Kirschpflanzungen anrichtete.
Die Leistung seines Schnabels ist unbestritten. Knackt der Kernbeisser einen Kirschkern, beträgt der Druck rund 40 Kilogramm, zum Öffnen benötigt er nur etwa fünf Sekunden. Bei Olivenkernen, die noch härter sind, müssen bis zu 70 Kilogramm Druck aufgewendet werden. Sonnenblumenkerne und Hanfsamen gehören auch zu seinem Nahrungsspektrum, zur Brutzeit stehen aber Insekten auf dem Speiseplan.
Der Kernbeisser ist ein scheuer Vogel und da er vorwiegend in Laub- und Mischwäldern lebt, übersieht man ihn gerne. Im Lauf des 20. Jahrhunderts besiedelte er aber auch gut strukturierte Gärten, Parks, Friedhöfe mit einem alten Baumbestand und Vorstadtquartiere. Wichtig sind ein gutes Nahrungsangebot und gute Nistmöglichkeiten. Kirschkerne, Hagebuchen- und Eibensamen sind eine beliebte Nahrungsquelle – auch im Spätherbst. Im Frühjahr wird die Nahrung durch Knospen ergänzt.
Gerne hält sich der König der Finken auch in Auwäldern auf, wo er geeignete Badegelegenheiten in ruhigen Gewässern findet. Seine Schönheit muss er schliesslich pflegen!
Der Kernbeisser wiegt 48 bis 62 g, also ein bisschen mehr als eine halbe Tafel Schokolade. Seine Gestalt wirkt etwas gedrungen, er hat einen kräftigen Kopf und einen relativ kurzen Schwanz.
Das Markenzeichen des Vogels, der kräftige Schnabel, ist zur Brutzeit graublau, in der übrigen Zeit gelblichbraun. Kehl- und Zügelfleck (Zügelfleck = Partie zwischen Auge und Schnabel) und die schmale Schnabeleinfassung sind schwarz, der Nacken hellgrau.
Seine Hand- und Armschwingen (Flügel) sind blauschwarz. Das Weibchen ist allerdings matter gefärbt.
Im Flug fällt das weisse, halbmondförmige Band im Flügel auf, ebenso die weisse Schwanzendbinde. Sein Flug ist kräftig und schnell. Am Boden wirkt sein Gang hingegen eher wackelig, ausgeprägte Sprünge gehören dazu.
Der Kernbeisser besiedelt Europa, Nordafrika sowie ostwärts die Gebiete bis Ostasien und Japan. In Mitteleuropa ist er ein Standvogel, nördliche und östliche europäische Populationen sind Teilzieher. Vielfach ist er ein sogenannter Strichvogel, das heisst er unternimmt vom Herbst bis ins Frühjahr Wanderungen, um die besten Nahrungsgebiete ausfindig zu machen. Für den Wegzug im Herbst bilden sich oft grosse Schwärme, der Heimzug von Februar bis März erfolgt meist in kleinen Gruppen.
Obwohl man dem Kraftprotz Kernbeisser eine laute Stimme zumuten würde, ist dem gar nicht so. Den Gesang, ein leises „Schwätzen“, hört man äusserst selten. Er dient praktisch nur als Festigung des Paarzusammenhalts. Die verschiedenen Rufe – wie beispielsweise das kurze scharfe „zick“ – ist zwar auffälliger, aber auch da muss man gut hinhören.
Kernbeisser führen eine monogame Brutehe, die Paare bleiben oft mehrere Jahre zusammen. In unsern Breitengraden dauert die Brutzeit von Anfang April bis Ende Juni. Es gibt nur eine Jahresbrut, bei Verlust manchmal ein Nachgelege.
Das Männchen umwirbt seine Partnerin mit verschiedenen Balzritualen und „Brautgeschenken“, dazwischen „schnäbeln“ die Vögel, das heisst, sie reiben die Schnäbel aneinander.
Für das Nest wählen die Vögel gerne einen Standort in hohen Bäumen wie Pappeln und Birken, er kann gut in einer Höhe von sechs bis acht Metern liegen. Der Kernbeisser brütet einzeln, manchmal teilen sich mehrere Paare ein Gebiet. Das Brutgebiet im Flachland reicht in Höhen bis 700 m. In der Schweiz brütet er sporadisch bis zur oberen Grenze der Laubholzstufe auf etwa 1300 m.
Das Nest errichtet das Paar gemeinsam. Ihr Gelege umfasst vier bis sechs Eier, die hauptsächlich vom Weibchen bebrütet werden. In dieser Zeit versorgt das Männchen seine Partnerin mit Nahrung. Frisch geschlüpfte Jungvögel wiegen etwa fünf Gramm. Obwohl Kernbeisser vor allem Körnerfresser sind, füttern die Eltern ihren Nachwuchs mit Insekten und kleineren Raupen, um ihren Proteinbedarf zu decken.
Kotbällchen der Vogelkinder werden von den Altvögeln im Schnabel weggetragen und „entsorgt“. Im Alter von 12–14 Tagen verlassen die Jungvögel das Nest und lassen sich auf Ästen in Nestnähe nieder. Dies bezeichnet man als Ästlingsstadium. Die Eltern beschaffen weiterhin Nahrung und ergänzen diese schon bald mit kleineren Sämereien, da die Schnäbel der Jungvögel noch nicht ganz ausgewachsen und ausgehärtet sind. Nach rund 30 Tagen sind junge Kernbeisser selbstständig.
Gefahren lauern natürlich während der Jungenaufzucht wie bei andern Jungvögeln auch. Da Kernbeisser in einem offenen Nest brüten, „bedienen“ sich gerne Nesträuber wie Eichelhäher, Eichhörnchen und Marder. Habicht, Sperber, Wanderfalke und Katzen sind weitere Gefahrenquellen im späteren Leben.
Kernbeisser können im besten Fall 12 Jahre alt werden.
Gartenbesitzer, die ihre Gärten „kernbeissergerecht“ gestalten möchten, können mit dem Pflanzen entsprechender Gehölze wie beispielsweise Traubenkirsche, Feld- und Bergahorn, Hagebuche (Hainbuche), Eichen, Eiben (-hecken) etc. ihren Beitrag leisten.
Die ausführliche Dokumentation zum heutigen Vogel des Monats für den Unterricht finden Sie hier: Kernbeisser oder in der Lehrmittel Boutique, wo das Heft auch für Nichtmitglieder kostenlos zur Verfügung steht.
Ich danke Edith und Beni Herzog herzlich für die interessanten Informationen und die wunderbaren Fotos. Auf ihrer Webseite benifotos.ch sind die Bilder grösser und noch prächtiger zu sehen.
Zielgruppe: 3. - 6. Klasse
Bezug Lehrplan 21: NMG 2.1 NMG 2.3 NMG 2.4 NMG.2.6