Ein eigenartiger Jüngling

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Ein Grossbauer brauchte einen Helfer, der sich um seine Ställe und den Heuschober kümmerte. Nach altem Brauch begann er am Tag des Dorffestes jemanden zu suchen. Er erblickte einen sechzehn- bis siebzehnjährigen Jungen, der sich bei den Schaubuden herumtrieb. Es war ein grosser, magerer Typ, der nicht besonders kräftig wirkte.
„Wie heisst du, junger Mann?“
„Alfredo, Herr.“
„Ich suche jemanden, der Lust hat auf meinem Bauernhof zu arbeiten. Kennst du dich aus mit landwirtschaftlichen Arbeiten?“
„Ja, Herr. Ich kann in einer stürmischen Nacht schlafen.“
„Wie bitte?“, fragte der Bauer überrascht.
„Ich kann in einer stürmischen Nacht schlafen.“
Der Bauer schüttelte den Kopf und ging weg.

Am späten Nachmittag begegnete er Alfredo erneut und wiederholte sein Angebot. Alfredos Antwort lautete gleich: „Ich kann in einer stürmischen Nacht schlafen.“

Der Bauer brauchte einen Helfer und nicht einen Jüngling, der sich rühmte, in stürmischen Nächten schlafen zu können.

Er suchte weiter, aber er fand niemanden, der gewillt war, auf seinem Hof zu arbeiten. Also entschied er sich, Alfredo anzustellen, der sich wiederholte: „Seien Sie beruhigt, Herr, ich kann in einer stürmischen Nacht schlafen.“
„Einverstanden. Wir werden sehen, wofür du taugst.“

Alfredo arbeitete während mehrerer Wochen auf dem Bauernhof. Der Bauer war sehr beschäftigt und achtete nicht besonders darauf, was der Junge tat.

Da wurde er eines Nachts von starken Winden geweckt. Der Wind heulte zwischen den Bäumen, röhrte auf den Wegen und rüttelte an den Fenstern. Der Bauer sprang aus dem Bett. Der Sturm könnte die Stalltüren aufreissen, die Pferde und Kühe aufscheuchen, Stroh und Heu verstreuen und allerlei Unheil anrichten. Er eilte zu Alfredos Kammer und klopfte an die Türe, bekam jedoch keine Antwort. Er klopfte lauter.
„Alfredo, steh auf! Komm und hilf mir, bevor der Wind alles zerstört.“
Doch Alfredo schlief weiter.

Der Bauer hatte keine Zeit zu verlieren. Er hastete die Treppe hinunter, eilte an der Tenne vorbei und erreichte die Ställe. Und er erlebte eine schöne Überraschung.

Die Türen der Ställe waren fest verschlossen und die Fenster waren sicher verriegelt. Stroh und Heu waren zugedeckt und festgebunden, so dass nichts weggeblasen werden konnte. Die Pferde waren in Sicherheit und die Schweine und Hühner waren ruhig. Draussen stürmte der Wind mit grosser Wucht. In den Ställen drin war das Vieh still und alles war in Sicherheit.

Plötzlich musste der Bauer laut lachen. Er verstand jetzt, was Alfredo damit gemeint hatte, als er beteuerte, in einer stürmischen Nacht gut schlafen zu können.

Der Junge erledigte seine Arbeit jeden Tag bestens. Er versicherte sich, dass alles an seinem Platz war. Er verschloss sorgsam Türen und Fenster und sorgte gut für die Tiere. Er war jeden Tag auf ein Unwetter vorbereitet. Deshalb brauchte er sich nicht davor zu fürchten.

Bruno Ferrero, Qumrân2
Bild: Pixabay, CC0 Creative Commons