Gastbeitrag von Christoph Eichhorn
Mobbing beunruhigt Eltern extrem. Durch Berichte in der Laienpresse alarmiert, befürchten viele gleich das Schlimmste für ihr Kind. Das hat schwerwiegende Konsequenzen, wie z.B. dass sie durch ungeschicktes Verhalten ungewollt die Schwierigkeiten ihres Kindes verschärfen. Zusätzlich stellt die Zusammenarbeit mit diesen Eltern höchste Ansprüche an die Lehrpersonen und ist oft extrem belastend. Dieser Beitrag gibt Anregungen für Lehrpersonen.
Fallbeispiel:
„Hat er dich wieder geplagt?“, fragt die Mutter ihre Tochter besorgt, als diese von der Schule nach Hause kommt. Ihre Stimme klingt beunruhigt, ihr Gesicht drückt Kummer aus. Eigentlich hatte Carla den kleineren Vorfall in der Schule schon wieder vergessen. Aber jetzt, wo ihre Mutter nachfragt, fällt es ihr doch wieder ein: Roberta hatte die Augen verdreht, als sie sie um ihren Radiergummi bat. Jetzt sagt sie mit einem leichten Schluchzen: „Roberta hat wieder die Augen verdreht.“ Am Gesicht ihrer Mutter kann Carla erkennen, dass das etwas ganz Schlimmes sein muss. Angst und Sorge breiten sich in ihr aus.
Eltern verstärken oft ungewollt die Schwierigkeit ihres Kindes
Die Reaktion der Eltern auf vermeintliches oder tatsächliches Mobbing ihres Kindes beeinflusst entscheidend dessen Bewältigungsmöglichkeiten. Vor allem überbesorgte und hilflose Eltern verschärfen – natürlich ungewollt – die schwierige Situation ihres Kindes. Zum einen lenken sie seine Aufmerksamkeit immer wieder auf das Problem hin. Zum anderen erschweren sie unabsichtlich seine Lage, wenn sie ihm keine Bewältigungsperspektive anbieten.
Mit besorgten Fragen können Eltern unbewusst nicht nur das Problem verschärfen, sondern auch die Bemühungen der Lehrperson in der Schule untergraben.
Alarmierte Eltern – schwierige Zusammenarbeit
Über die Verbreitung von Mobbing gibt es unterschiedliche Zahlen. Manche sprechen davon, dass über 50 Prozent aller Schülerinnen und Schüler von Mobbing ein oder mehrere Male betroffen sind (Jäger, et. al. 2007). Das bedeutet, dass jede Lehrperson immer damit rechnen muss, dass ein oder mehrere Eltern ihrer Schüler zur Ansicht kommen, ihr Kind sei Opfer von Mobbing. Ob diese Einschätzung berechtigt ist oder nicht, spielt im Erleben der betroffenen Eltern keine Rolle. Fast immer sind sie extrem beunruhigt. Sie wünschen sich, dass die Lehrperson das Mobbing sofort unterbindet, und zwar für immer. Das ist verständlich aber auch sehr unrealistisch. Denn niemand kann Mobbing mit Sicherheit langanhaltend verhindern. Damit werden die hohen Erwartungen der Eltern früher oder später enttäuscht, was oft Auslöser massiver Konflikte zwischen Eltern-Lehrpersonen Konflikte ist.
Die Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Mobbing
Eltern als wichtigste Bezugsperson ihres Kindes haben aber auch den größten Einfluss auf ihr Kind. Dabei ist entscheidend, dass die Eltern ihr Kind ernst nehmen und mit ihm an einer Bewältigungsperspektive arbeiten. Wie Sie als Lehrperson die Eltern bei dieser Aufgabe unterstützen können, zeigen die nächsten Abschnitte.
Zeitnaher Support hilft Eltern und Kind
Auf Grund der hohen Besorgnis der Eltern ist zeitnahes Handeln angesagt. Andernfalls steigt die Sorge und Unruhe der Eltern ins Unermessliche – und überträgt sich weiter aufs Kind. Sie brauchen also dringend eine Person mit Hintergrundwissen, wie z.B. die Lehrperson, mit der sie sich zeitnah austauschen können. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund:
- den Eltern zuhören und
- ihnen eine Bewältigungsperspektive aufzeigen.
Lesen Sie morgen, wie das in der Praxis vor sich gehen kann.
Christoph Eichhorn arbeitet seit über 20 Jahren als Schulpsychologe mit Schwerpunkt Classroom-Management. Unter anderem hat er für Bulgarien und die Slowakei ein Classroom-Management-Training entwickelt. Sein Buch „Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten“, Klett-Cotta, erreicht gerade die 9. Auflage.
Weitere Infos auf www.classroom-management.ch
Literatur
- Eichhorn, C. (2014): Die Klassenregeln. Guter Unterricht mit Classroom-Management. Klett-Cotta, Stuttgart
- Eichhorn, C. (2017): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta, 9. Aufl.
- Jäger, R., Fischer, U., Riebel, J.: Mobbing bei Schülerinnen und Schülern der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage einer online-Befragung. Landau 2007, S. 3.
- Reddemann, L: Eine Reise von 1 000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. 2007
- Sullivan, K. (2000): The Anti-Bullying Handbook.
Bild: Pixabay, Counselling