Zweiter Teil des Gastbeitrages von Christoph Eichhorn
Den Eltern eine Bewältigungsperspektive aufzeigen
Die Bewältigungsperspektive umfasst drei Bereiche:
1. Die Mobbingsituation selbst:
Dabei geht es um Strategien, die dem Schüler oder der Schülerin während der Mobbingsituation helfen, sich gegen diese abzuschirmen, wie z.B.
- versuchen wegzuhören,
- sich bewusst auf die Mitschüler konzentrieren, zu denen ein guter, oder zumindest kein belasteter Kontakt besteht,
- die Situation mit Humor nehmen.
2. Erholung während der Freizeitphase:
Natürlich ist es hilfreich, wenn es dem Kind, alleine oder mit Hilfe seiner Eltern gelingt, die sich aus der Mobbing-Situation ergebende Belastung während der Freizeitphase abzufedern. Die wichtigste Frage ist: „Was kann ihr Kind tun, um während seiner Freizeit abzuschalten und sich wieder gut zu fühlen“.
3. Die Veränderung der Aufmerksamkeitsfokussierung:
Eine Schülerin, die in der Schule gemobbt wird, kann mit der Zeit alles, was mit der Schule zu tun hat, negativ erleben. Das ist dann auch ein Ergebnis ihrer negativ ausgerichteten Aufmerksamkeitsfokussierung, die die Eltern sehr häufig verschärfen, wie wir im einleitenden Fallbeispiel gesehen haben. Es geht deshalb hier darum, die Schülerin allmählich dahin zu führen, dass die Schule auch schöne Erlebnisse bietet – neben dem Mobbing. Also um die Frage, „lass uns mal überlegen, was heute in der Schule schön war?“ Angelehnt an Luise Reddemann kann man sagen: „Die Schule ist nicht nur schön – aber auch schön“.
Fallbeispiel: Eine verzweifelte Mutter ruft an.
Eine Mutter ruft besorgt die Lehrperson an und schluchzt: „Carla wird gemobbt“. Wie kann die Lehrperson die Mutter unterstützen?
- Zuhören:
Zunächst bietet es sich an, einfach nur zuzuhören. Aus der Therapie- und Beratungsforschung ist bekannt, dass Beratung dann hilfreich ist, wenn die Person, die beraten wird, das Gefühl hat, die Dinge ansprechen zu können, die ihr auf dem Herzen liegen.
- Versuchen ruhig zu bleiben:
Das ist leichter gesagt als getan, wenn ein besorgter und hilfloser Elternteil anruft. Denn Emotionen stecken an. Viele Lehrpersonen haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie versucht haben, ihre eigenen Emotionen zu akzeptieren und sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Eine andere Möglichkeit ist, sich zu vergegenwärtigen, dass es gar nicht möglich, sofort eine Lösung zu finden.
- Versuchen herauszufinden, was genau geschehen ist:
Ungewollt vereinfachen oder übertreiben Eltern, wenn sie über die Vorfälle sprechen. Sie sagen: „Mein Kind wird gemobbt“, ohne näher zu erklären, was tatsächlich geschehen ist. Wir müssen aber wissen, was geschehen ist, also wer was, wann, wie, wo getan hat, mit welchen anderen Beteiligten, mit welchen Auswirkungen. Auch wenn ein Elternteil dann sagt: „Carla ist geschlagen worden“, ist das keine ausreichende Information. Sondern dann sind noch Fragen wichtig wie „wer, wo, was ist dabei genau passiert, gab es einen oder mehrere Schläge usw.“
In der Praxis zeigt sich dann allerdings sehr oft, dass die von den Eltern berichteten Vorfälle, mit Mobbing nichts zu tun haben. Es handelt sich eher um normale Streitereien, wie sie zwischen Kindern üblich sind. Für die Eltern spielt dies aber erst einmal keine Rolle. Sie sind in der Regel davon überzeugt, dass es sich um Mobbing handelt. Es ist dann natürlich auch nicht sinnvoll, die Eltern, vor allem zu Beginn der Zusammenarbeit, davon überzeugen zu wollen, dass es sich „nur um harmlose Streitereien“ handelt.
Zusätzlich ist es sehr hilfreich, wenn die Lehrperson klar formuliert:
- „Gut, dass Sie anrufen – vielen Dank“.
- „Mir ist wichtig, dass sich alle meine Schülerinnen und Schüler in der Klasse wohl fühlen. Deshalb werde ich alles dafür tun, damit das weniger vorkommt“.
- „Ich möchte mit Ihnen in Kontakt bleiben - bitte informieren Sie mich über jeden weiteren Vorfall – ich werde Sie ebenfalls informieren, wenn wieder etwas vorkommt.“
Dem Schüler / der Schülerin feste Termine anbieten
Sehr hilfreich ist, wenn sich die Lehrperson zu festen Termine ein bis zweimal pro Woche mit dem Schüler / der Schülerin trifft – und sei es nur für einige Minuten. Dies kann gleich mit dem anrufenden Elternteil abgesprochen werden. Er sieht dann, dass die Lehrperson sofort handelt, was beruhigend wirkt.
Es wird wieder geschehen
Wenn möglich, also wenn sich der Elternteil wieder ein bisschen beruhigt hat, ist kann es schon in diesem ersten Telefonkontakt sinnvoll sein, darauf hinzuweisen, dass es weitere Vorfälle geben wird. Warum?
Eltern gehen sonst von der unrealistischen Vorstellung aus, dass wie durch ein Wunder die Probleme gelöst würden. Man kann sagen: „Klar wollen wir nicht, dass es wieder zu einem Vorfall kommt. Aber wir wissen beide, dass wir das nicht völlig ausschliessen können. Angenommen es gibt wieder einen ähnlichen Vorfall – haben Sie schon eine Idee, wie Sie Ihrem Kind helfen können?“ Diese letzte Aussage suggeriert, dass das Problem veränderbar ist.
Lesen Sie morgen die Anregungen, die Sie als Lehrperson den Eltern geben können.
Christoph Eichhorn arbeitet seit über 20 Jahren als Schulpsychologe mit Schwerpunkt Classroom-Management. Unter anderem hat er für Bulgarien und die Slowakei ein Classroom-Management-Training entwickelt. Sein Buch „Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten“, Klett-Cotta, erreicht gerade die 9. Auflage.
Weitere Infos auf www.classroom-management.ch
Literatur
- Eichhorn, C. (2014): Die Klassenregeln. Guter Unterricht mit Classroom-Management. Klett-Cotta, Stuttgart
- Eichhorn, C. (2017): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta, 9. Aufl.
- Jäger, R., Fischer, U., Riebel, J.: Mobbing bei Schülerinnen und Schülern der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage einer online-Befragung. Landau 2007, S. 3.
- Reddemann, L: Eine Reise von 1 000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. 2007
- Sullivan, K. (2000): The Anti-Bullying Handbook.
Bild: Pixabay, Anemone123