Die Classroom Management-Philosophie bei der Integration von Flüchtlingen II

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Zweiter Teil des Gastbeitrages von Christoph Eichhorn

Die ersten Tage

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Die Lehrperson heisst den Schüler an der Klassenzimmertür willkommen. Er wird sich in der Klasse vorstellen und es gibt ein kurzes Kennenlernspiel. Am zweiten Tag hängt die Lehrperson ein schönes Bild vom Herkunftsland des Schülers auf. Die Idee dabei ist, den Kontext rund um den Schüler zu würdigen und für seine Mitschüler als etwas Positives und Wertvolles darzustellen.

Später fertigt sie nach Rücksprache mit dem Schüler eine Fotographie von ihm an, die ihn dabei zeigt, wie er sich in der Schule wohlfühlt, und sendet es dessen Eltern. Damit will sie seinen Eltern das Gefühl vermitteln, dass es ihrem Kind in der fremden Schule gut geht. Sie ruft auch seine Eltern an, um sich danach zu erkundigen, wie aus Sicht seiner Eltern die ersten Schultage verlaufen sind.

Später bringt die Lehrperson eine landestypische Süssigkeit mit in die Schule. Diese setzt sie als Belohnung ein, wenn die ganze Klasse, ein bestimmtes Ziel erreicht hat, dass alle gut zusammenarbeiten, d.h. dann auch mit dem neuen Schüler.

Grosszügig Anerkennung geben

Fallbeispiel: Bewegungsübungen


In einer 5. Klasse führt der neue Schüler einige Bewegungsübungen vor, die er aus seinem Herkunftsland kennt. Und zwar dann, wenn die Klasse z.B. von einer längeren Arbeitsphase etwas ermüdet ist. Alle machen mit. Klar hat sich die Lehrperson mit ihm zuvor abgesprochen. Ein Ziel dabei war auch, ihre Beziehung zu diesem Schüler zu vertiefen.

In ihrer Klasse hat sie eine Lobkultur aufgebaut: Alle Schüler klatschen Beifall, wenn ein Mitschüler etwas Gutes macht.

Erste Erlebnisse von Zugehörigkeit ermöglichen

Fallbeispiel: Patensystem einführen
Als Paten sind in der Anfangszeit vor allem Schüler mit guten sozialen Kompetenzen und hohem Ansehen in der Klasse geeignet. Später übernehmen auch andere Schüler die Patenaufgabe. Die Lehrperson bereitet den ersten Paten frühzeitig auf seine Aufgabe vor. Das könnte z.B. heissen, den neuen Schüler während der grossen Pause zu begleiten, beim Duschen darauf zu achten, dass es keine sexuell gefärbten Beleidigungen gibt und die Lehrperson über abwertende Bemerkungen von Mitschülern zu informieren. Das spricht sie natürlich vorher mit allen ihren Schülern ab.

Im Classroom-Management gilt gute Vorbereitung als besonders bedeutsam. So meinen Wong and Wong (2004): Classroom-Management besteht aus drei Dingen: Vorbereitung, Vorbereitung und Vorbereitung.

Spezialtraining Klassenregeln und Routinen

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Der neue Schüler weiss ja nur ungefähr, wie man sich in der neuen Klasse verhält. Das kann dazu führen, dass er aus Versehen Fehler macht und sich unangemessen verhält. Eventuell fühlt er sich dann schlecht und bloßgestellt und sein Ansehen in der Klasse leidet. Das will die Lehrperson vermeiden. Um zu lernen, wie man sich in der Klasse richtig verhält, braucht er gute Unterstützung.

Fallbeispiel: Rollenspiel 2. Klasse
Eine Lehrperson führt mit dem neuen Schüler und einigen freiwilligen Mitschülern kurze Rollenspiele durch, in denen sie die wichtigsten Routinen wie z.B. Ruheritual, Wechsel vom Sitzkreis an den Platz, sich melden, wenn man etwas sagen möchte usw. übt. Natürlich nur dann, wenn der neue Schüler damit Schwierigkeiten hat.

Sie setzt beim Üben konsequent auf positive Kommunikation. Das heißt, dass sie Schritte in die richtige Richtung hervorhebt, wie z.B., „es klappt schon viel besser als beim ersten Mal – prima, freut mich, Ali“ und ihre Mimik drückt Wärme und Wertschätzung aus. Statt zu schimpfen „wann lernst du das nur“, oder ähnliches.

Fehlertoleranz: Treten doch Fehler auf, also dass der neue Schüler etwas falsch macht, sagt sie unterstützend, „macht nichts“, oder „kein Problem“.

  • Sie nutzt die Gelegenheit, sich bei den einheimischen Schülerinnen und Schülern für deren Hilfe zu bedanken „schön wie ihr mir so gut geholfen habt – ich bin stolz auf euch.“
  • Am nächsten Tag kommt sie bei einigen dieser Schülerinnen und Schülern noch einmal darauf zurück und sagt: „Schön, Carlo, wie du gestern mitgeholfen hast, dass Ali schnell unsere Regeln lernt.“
  • Wenn Carlo beispielsweise einer der schwierigen Schüler in der Klasse ist, könnte sie auch, nach Rücksprache mit ihm, dessen Eltern anrufen und sagen: „Ich bin stolz auf Carlo, wie gut er mitgeholfen, dass unser neuer Schüler schnell lernt, wie man sich in der Klasse richtig verhält – dafür möchte mich auch bei Ihnen bedanken.“ Damit fördert sie bei den Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler Wohlwollen gegenüber dem neuen Schüler.
Die Eltern nicht vergessen

Kind chombosan8Sie könnte auch einen kurzen Brief an alle Eltern schreiben, dass die meisten Schüler gut mitgeholfen haben, dass sich der neue Schüler schnell integriert hat und dass er sich schon besser fühlt. Und dass in der Klasse weiterhin eine gute Lernatmosphäre vorhanden ist. Damit schwächt sie mögliche Kritik von Seiten der Eltern wegen des neuen Schülers ab. Ein sehr bedeutsamer Punkt. Wenn nämlich die Eltern der Schüler schlecht über den neuen Schüler sprechen, dann wird sich ihr Kind dem Neuen gegenüber auch abschätzend verhalten. Und für die Lehrperson wird die Klassenführung auf einen Schlag deutlich schwieriger.

Positive Emotionen

Fallbeispiel 9. Klasse: Bei älteren Schülerinnen und Schüler
Alle Schülerinnen und Schüler recherchieren über Musik aus dem Herkunftsland des neuen Schülers und suchen diejenigen Stücke aus, die ihnen am besten gefallen: Abwechselnd wird eines davon zu Beginn des Unterrichts eingespielt. Oder während einer Aktivierungsphase in der der neue Schüler Sportübungen mit allen durchführt.
Natürlich muss die Lehrperson auch aktuelle, „einheimische“ Popmusik spielen, damit nicht der Eindruck entsteht, die Lehrperson würde den Flüchtling vorziehen.

Eine Variante ist, dass die Lehrperson ihre Schülerinnen und Schüler fragt, was sie aus dem Herkunftsland interessiert.

Fallbeispiel: Afrikanischer Tanz und westliche Pop-Musik
In einer Klasse gab eine 15-jährige Schülerin aus einem afrikanischem Land Inputs zu Themen wie
- Mode aus ihrer Heimat
- Schminken
- Tanz aus ihrer Heimat.
Anfangs waren dies natürlich nur ganz kurze Inputs und mit einer enger Begleitung eines Lernpaten und der Lehrperson.

Schließlich entwickelte sich ein Projekt, bei dem die ganze Klasse, etwa 15 Minuten pro Woche, afrikanische Tanzelemente zu westlicher Musik, d.h. der Musik, die die Schüler in ihrem Alltag hören, einübten und allmählich weiterentwickelten. Hin und wieder nahmen sogar Fachlehrer teil. Ein Ziel dabei war auch, die Beziehung der Fachlehrperson zur Klasse zu verbessern.

Lesen Sie morgen im dritten Teil, mehr über die Unterstützungskultur.

Christoph Eichhorn arbeitet seit über 15 Jahren beim Schulpsychologischen Dienst Graubünden. Seine Schwerpunkte sind Classroom-Management und Lehrer-Gesundheit. Weitere Infos auf www.classroom-management.ch.

Literatur:
- Eichhorn, C., (2014): Die Klassenregeln. Guter Unterricht mit Classroom-Management. Klett-Cotta, Stuttgart.
- Eichhorn, C. (2016): Rituale in der Schule. https://www.meinunterricht.de/blog/rituale-schule-ruherituale-unterricht/
- Eichhorn, C. (2017): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta. 9. Aufl.
- Emmer, E., Sabornie (2015): Handbook of Classroom-Management. Routledge, 2015, 2. Aufl.
- Hennemann, T,. Hillenbrand, C. (2010): Klassenführung – Classroom-Management. In: Hartke, B., Koch, K., Diehl, K.: Förderung in der schulischen Eingangsstufe. Stuttgart, Kohlhammer.
- Wong, H., Wong, R. (2004): The First Days of School. How to Be an Effective Teacher. Mountain View, CA: Wong.

Bilder: (c) Fotolia, chombosan