Der träge Falke

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Turmfalke Titelbild

Ein grosser König erhielt ein Geschenk von zwei frisch geschlüpften Falken. Er brachte die beiden Jungvögel sogleich dem Meister Falkner, um sie abzurichten. Nach einigen Monaten ließ der Meister dem König ausrichten, dass einer der beiden Falken perfekt dressiert sei. „Und der zweite?“, fragte der König.

„Es tut mir leid, Herr, aber der zweite Falke verhält sich eigenartig. Vielleicht hat er eine seltene Krankheit, die wir nicht heilen können. Niemand bringt es fertig, ihn vom Ast des Baumes wegzulocken, auf den er am ersten Tag hingesetzt wurde. Ein Bediensteter muss jeden Tag zu ihm hochklettern, um ihm sein Futter zu bringen.“

Der König bot Tierärzte und Heiler und Experten jeder Art auf, doch keiner schaffte es, den Falken zum Fliegen zu bewegen. Er beauftragte den gesamten Hofstaat, die Feldherren, die weisesten Räte, doch keiner konnte den Falken von seinem Ast lösen. Vom Fenster seiner Räume aus konnte der Monarch Tag und Nacht den unbeweglichen Falken beobachten.

Eines Tages erliess er ein Edikt, in dem er seine Untertanen um Hilfe für sein Problem bat. Als der König am folgenden Morgen sein Fenster öffnete, sah er mit grossem Erstaunen, wie der Falke stolz zwischen den Bäumen des Gartens umherflog. „Bringt mir den Urheber dieses Wunders“, befahl er.

Wenig später wurde ihm ein junger Bauer vorgestellt. „Du hast den Falken zum Fliegen gebracht? Wie hast du das geschafft? Bist du etwa ein Magier?“, befragte ihn der König.

Verschüchtert und glücklich erklärte der junge Mann: „Es war nicht schwer, Majestät. Ich habe einfach den Ast abgesägt. Der Falke wurde sich seiner Flügel bewusst und begann zu fliegen.“

Bruno Ferrero, Qumran2
Bild: Turmfalke, Beni Herzog