Die grosse Schlucht

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Ein Mann war tagein tagaus unzufrieden mit sich und der Welt und grollte gegen Gott: „Wer sagt denn, dass jeder sein Kreuz zu tragen hätte? Es kann doch nicht sein, dass es keine Möglichkeit gibt, das zu umgehen. Ich habe echt genug von meinen täglichen Strapazen.“

Gott antwortete dem Mann mit einem Traum. Er träumte, dass das Leben der Menschen auf der Erde eine endlose Prozession war. Jeder bewegte sich vorwärts mit seinem Kreuz auf den Schultern. Langsam, aber unerbittlich, ein Schritt nach dem andern. Auch der Mann stand in diesem ewig langen Zug und kam nur sehr mühsam vorwärts mit seiner persönlichen Last.

Nach einer Weile fiel ihm auf, dass sein Kreuz zu lang war, deshalb hatte er Mühe, vorwärts zu kommen. „Es würde genügen, es etwas zu kürzen, dann müsste ich mich weniger quälen“, sagte er sich. Und mit einem entschlossenen Schnitt kürzte er sein Kreuz um ein gutes Stück. Als er seinen Weg fortsetzte, merkte er, dass ihm das Gehen viel leichter fiel und ohne sich besonders anzustrengen erreichte er bald die Stelle, von der er annahm, dass sie das Ziel der Prozession war. Es war eine Schlucht, ein tiefer Abgrund im Gelände, auf dessen anderen Seite das „Land der glücklichen Ewigkeit“ begann. Eine bezaubernde Aussicht, die auf der anderen Seite der Schlucht zu sehen war!

Doch es gab weder Brücken noch Übergänge, um hinüberzukommen. Dennoch überquerten die Menschen die Schlucht mit Leichtigkeit. Jeder nahm sein Kreuz von der Schulter, legte es auf die beiden Ränder des Abgrundes und spazierte hinüber. Die Kreuze schienen genau das passende Mass zu haben: sie verbanden exakt die beiden Borde des Abgrundes. Alle gelangten mühelos hinüber, doch er ... er hatte sein Kreuz gekürzt und nun reichte es nicht bis auf die andere Seite des Grabens. Verzweifelt schluchzte er: „Ach, wenn ich das gewusst hätte ...“.

 

Bruno Ferrero, Qumran2
Bild: Pixabay PublicDomainPictures