Die Lehrperson ist immer mehr allein

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Bruecke Rad Unsplash Matthew Wiebe

"In unserer Zeit ist die Lehrperson immer mehr allein. Diese Einsamkeit widerspiegelt nicht nur ihre sozialen Arbeitsbedingungen, sondern, wie wir gesehen haben, auch den Bruch eines Generationenpaktes mit den Eltern. In der Praxis des Psychoanalytikers werden vermehrt die Scherben daraus eingesammelt:

  • Eltern, die mehr und mehr zu Komplizen und Verbündeten ihrer Kinder werden, welche wiederum immer weniger dankbar und immer anspruchsvoller und anmassender werden.
  • Eltern, die - anstatt die erzieherische Tätigkeit der Schule zu unterstützen - es vorziehen, ihren Söhnen und Töchtern angesichts der ersten Hürde den Weg zu ebnen, jegliches Hindernis zu vermeiden, beispielsweise durch einen Schul- oder Lehrerwechsel.
  • Eltern, die ständig gegen das Andere jammern und klagen, genau wie es die eigenen Kinder tun.

Es gab eine Zeit, als das Generationenbündnis zwischen Eltern und Lehrpersonen nicht zur Diskussion stand. Dabei bestand die Gefahr, dass autoritäre Folgen des Erziehungsprozesses gerechtfertigt und entschuldigt wurden. Heute jedoch tendiert dieses Bündnis dazu, sich aufzulösen. Die Herausforderungen der Unterschiede zwischen den Generationen und des schulischen Misserfolges werden wie eine unnötige Frustration ganz einfach vermieden.

In diesem schwierigen Umfeld drängt sich der Lehrperson unerbittlich die quälende Frage auf: Wie kann ich weiterhin lieben, was ich tue? Wie kann ich dem Austrocknen widerstehen, der Anpassung an eine Routine des verabreichten Wissens gemäss vorgegebener Standards, der Versuchung des Abbaus und des Aufgebens?"

Massimo Recalcati *1959, italienischer Psychoanalytiker in
L'ora die lezione (2014)
Freie Übersetzung des Originals auf Diapason

Foto: Matthew Wiebe, Unsplash