Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938)
O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!
Dein Wort ist süß, doch süßer ist
Der Kuß, den ich dir abgeküßt!
Den hab ich, und dran glaub ich auch,
Das Wort ist eitel Dunst und Hauch.
Heinrich Heine (1797-1856)

Küsse, die man stiehlt im Dunkeln
Und im Dunkeln wiedergibt,
Solche Küsse wie beselgen
Sie die Seele, wenn sie liebt!
Ahnend und erinnrungsüchtig,
Denkt die Seele sich dabei
Manches von vergangnen Tagen,
Und von Zukunft mancherlei.
Doch das gar zu viele Denken
Ist bedenklich, wenn man küßt;
Weine lieber, liebe Seele,
Weil das Weinen leichter ist.
Heinrich Heine (1797-1856)
Hast du die Lippen mir wund geküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.
Heinrich Heine (1797-1856)
Ich halte ihr die Augen zu
Und küß sie auf den Mund;
Nun läßt sie mich nicht mehr in Ruh,
Sie fragt mich um den Grund.
Von Abend spät bis Morgens fruh,
Sie fragt zu jeder Stund:
Was hältst du mir die Augen zu,
Wenn du mir küßt den Mund?
Ich sag ihr nicht, weshalb ichs tu,
Weiß selber nicht den Grund
Ich halte ihr die Augen zu
Und küß sie auf den Mund.
Heinrich Heine (1797-1856)
Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938)
Ein Händeineinanderlegen,
ein langer Kuß auf kühlen Mund,
und dann: auf schimmerweißen Wegen
durchwandern wir den Wiesengrund.
Durch leisen, weißen Blütenregen
schickt uns der Tag den ersten Kuß, -
mir ist: wir wandeln Gott entgegen,
der durchs Gebreite kommen muß.
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Sag mir, wer einst die Uhren erfund,
Die Zeitabteilung, Minute und Stund?
Das war ein frierend trauriger Mann.
Er saß in der Winternacht und sann,
Und zählte der Mäuschen heimliches Quicken
Und des Holzwurms ebenmäßiges Picken.
Sag mir, wer einst das Küssen erfund?
Das war ein glühend glücklicher Mund;
Er küßte und dachte nichts dabei.
Es war im schönen Monat Mai,
Die Blumen sind aus der Erde gesprungen,
Die Sonne lachte, die Vögel sungen.
Heinrich Heine (1797-1856)
Ich will meine Seele tauchen
In den Kelch der Lilje hinein,
Die Lilje soll klingend hauchen
Ein Lied von der Liebsten mein.
Das Lied soll schauern und beben
Wie der Kuß von ihrem Mund,
Den sie mir einst gegeben
In wunderbar süßer Stund.
Heinrich Heine (1797-1856)
Bilder: Wikimedia Commons
Gedichte: deutsche liebeslyrik.de