Sebastian ist weggezogen

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 Kind Huckepack WikimediaCommons Emily WalkerIch bin ihm nie begegnet, aber ich weiss mehr über ihn als über viele unserer Schüler, denen ich Tag für Tag begegne. Sebastian ist – war - ein Schüler von Monika Giuliani. Sebastian ist ein besonderer Schüler, er braucht viel Verständnis und seine Impulsivität wird von der Umwelt nicht immer positiv aufgenommen. Auch Monika hat gute und weniger angenehme Tage mit ihm erlebt. Doch es ist ihr gelungen, mit Sebastian eine Beziehung aufzubauen und ihn zu einem glücklichen Mitglied seiner Klasse wachsen zu lassen.

Am letzten Freitag verabschiedeten er und seine Familie sich von der Klasse, weil Sebastian an seinem neuen Wohnort eine andere Schule besucht.

Monika sagt über ihn: „Sebastian war ja nicht nur ein Schüler in unserer Klasse, sondern auch ein guter Lehrer. Er hat mit so einer Leichtigkeit gezeigt, wie viel Platz im Herzen eines Menschen für andere sein kann. Und diesen Platz hat er jedem von uns ohne vorausgehende Bedingungen oder Vorurteile zugestanden. Er wird mir fehlen.“

Das folgende Gedicht hat Monika zu Sebastians Abschied verfasst und mir erlaubt, es als Hommage an einen liebenswürdigen, offenen, unverstellten kleinen Menschen abzudrucken.

Sebastian in uns´rer Schule

Jeden Tag schon vor halb acht
wurde Sebi in die Schul´ gebracht.
Der Anfang fiel ihm ziemlich schwer,
er wollte hier partout nicht her.
Schon morgens auf dem Weg zum Bus
war er gezeichnet vom Verdruss.
Die Tränen von dem vielen Weinen
rannen hinab bis zu den Beinen.
Am Weg bis in die Schule dann,
er sich doch noch einmal besann.
So dauerte es gar nicht lange
und ihm war wirklich nicht mehr bange.
Kaum war er in der Schule Gasse,
stürmt´ lachend er schon in die Klasse.

Zu entdecken gab es ja sehr viel,
was Sebi durchaus auch gefiel.
Im Schulhaus immer rauf und runter,
lief Sebi alsbald ziemlich munter.
Die Lehrerin lief hinterdrein –
meist holte sie ihn dann auch ein.
Unter Protest und viel Gewimmer
ging es zurück ins Klassenzimmer.
Dort, zur Versöhnung vom Verdruss,
bekam die Lehrerin ´nen Kuss.
Mit Lesen, Schreiben oder Zählen,
wollt´ Sebi erst sich gar nicht quälen.
Kaum zeigte man ihm kurz den Rücken,
gelang es ihm, sich zu verdrücken.
Wie ´nen Magneten zog es ihn
zu seinen liebsten Mädchen hin.

Sie machten ihm stets freudig Platz
und ernteten ´nen dicken Schmatz.
Geduldig zeigten sie ihm dann,
wie man ganz richtig zählen kann.
So machte Lernen ihm dann Spaß:
Er malte täglich, las etwas,
fing an zu rechnen mit dem Plus,
das ABC war auch ein Muss.
Ganz eifrig wollte er auch machen
der andren Kinder schwere Sachen.
Versuchte alles zu kopieren.
Wir ließen ihn das gern probieren.
Und mit der Zeit – man glaubt es kaum –
war mit ihm Lernen echt ein Traum.
Oft saß er da auf Monis Schoß,
denn das fand Sebi ganz famos.
Er hörte zu sehr konzentriert,
was sie den Kindern so diktiert.
Musste sie manchmal dann auch schimpfen,
begann er sie zu verunglimpfen.
Er hob den Finger mit „Du! Du!“
und ließ sie gar nicht mehr in Ruh.
Mit bösem Blick, schlechtem Gefühl
wünscht´ er „Mondita“ auf den Müll.
Die Kinder lachten laut und tobten,
und ihm war klar, dass sie ihn lobten.
Es bremst´ ihn nur der Gong zur Pause.
Nun aß er - nicht nur seine Jause.
War er dann satt vom vielen Essen,
holt` er sich schnell des Schulwarts Besen.
Akribisch fegte er geschwind,
was fallen ließ so manches Kind.

Und freitags, das ließ er uns merken,
da liebte er so sehr das Werken.
Zum Werkraum ging`s erwartungsvoll,
denn hämmern, sägen fand er toll!
Und mit dem Hammer – bumm, bumm, bumm,
schlug er dann Monis Daumen krumm.
„Au“, rief sie laut mit einem Mal.
Der Sebi sagt: „Du in´ ‚Pital‘!“
Er wusste ja von Anfang an,
dass er auf Agnes zählen kann.
Ganz eng er oft an sie sich schmiegte
und da in Sicherheit sich wiegte.
War eine Lehrerin mal krank,
gab´s noch die andre - Gott sei Dank.
Auf beide war für ihn Verlass,
mit jeder hatte er auch Spaß.

Und mit der Zeit – es ist ganz klar,
war Sebi überall der Star.
Kollegen – anfangs distanziert –
umarmten ihn ganz ungeniert.
So manche Kusshand kam geflogen
und jeder war ihm gut gewogen.
Selbst Frau Direktor war verzückt,
wenn sie den Sebi hat erblickt.
Und auch der Schulwart – dieser Mann,
fing plötzlich ganz zu schmelzen an.
Begegnete uns Sebis Charme,
wurde ums Herz uns wirklich warm.
Und war er manchmal nicht so nett,
mit Herzlichkeit macht´ er es wett.
Ob gut gelaunt oder voll Sorge,
Sebastian war der Hahn im Korbe.

Doch nun – wir können es nicht fassen,
musst du uns leider schon verlassen.
Den Abschied müssen wir verschmerzen -
du aber bleibst in uns´ren Herzen!
Wir wünschen, dass es gut dir geht,
es jemand´ gibt, der dich versteht,
du viele Freunde findest dort,
an dem noch unbekannten Ort.
Möge dein Frohsinn nie versiegen.
Und bitte: Lass dich nicht verbiegen!
Verschenke weiter so viel Glück.
Es komme vielfach zu dir zurück!
Geh deinen Weg mit sich´rem Schritt.
Nimm alle guten Wünsche mit.
Musst du nun leider von uns gehen -
wir hoffen auf ein Wiedersehen!

Bild: Wikimedia Commons, Emily Walker